.hist2011 – Geschichte im digitalen Wandel

Theo Röhle: Das Ende der Theorie? Big Data als Herausforderung für die Geisteswissenschaften

[Folien zum Vortrag...]

Abstract

Unter dem Motto „The end of Theory“ verabschiedete Wired-Herausgeber Chris Anderson vor einigen Jahren Modell- und Theoriebildungen in den Naturwissenschaften und erklärte induktive Data Mining-Verfahren zur Zukunft wissenschaftlicher Methodologie. Ein ähnlicher Trend zeichnet sich nun in den Geisteswissenschaften ab, wo der computergestützten Verarbeitung großer Datensätze („Big Data“) revolutionäre Umbruchspotentiale zugeschrieben werden. Der Vortrag rückte diese methodologischen Verspechen in einen historischen Kontext, indem eine frühe Hochphase der Quantifizierung und Metrifizierung in den US-amerikanischen Geschichtswissenschaften der 1950er-Jahre diskutiert wurde.

Bei der Rekonstruktion der Debatte standen zunächst die Positionen im Fokus, die verschiedene Protagonisten in Bezug auf die Verwendung quantitativer Methoden in der Geschichtswissenschaft einnahmen. Hier ließ sich der Einfluss psychologischer und soziologischer Ansätze nachvollziehen, die von ihren Fürsprechern als Ausgangspunkt für eine „genuinely scientific historiography“ bezeichnet wurden. Die Gegner betrachteten den Bereich der quantitativ zu bearbeitenden Fragestellungen dagegen generell als zu eingeschränkt. Der wissenschaftliche Diskurs erwies sich auch als aufschlussreich im Hinblick auf die technischen Bedingungen, unter denen die neuen methodologischen Ansätze erprobt wurden. Am Übergang zwischen manuellen und automatisierten Verfahren ließen sich die Probleme der Formalisierung nachvollziehen und damit die Begrenztheit der Verfahren.

Die historische Debatte lieferte eine Folie, vor der die aktuellen methodologischen Entwicklungen diskutiert werden konnten. Dabei standen einerseits die technischen Einschränkungen zu Debatte, andererseits die grundsätzlichen epistemologischen Argumente, die im historischen Diskurs für und gegen Quantifizierung angeführt wurden. Strukturiert wurde dieser Abgleich anhand von fünf Problemfeldern, die Rieder/Röhle (2012) als zentrale Herausforderungen für die aktuellen „Digital Humanities“ identifiziert haben: die Verlockung der Objektivität, die Macht der visuellen Evidenz, Black-Boxing, institutionelle Turbulenzen, das Streben nach Universalität.

Weitere Informationen zum Vortrag

  • Chris Anderson, The end of theory: the data deluge makes the scientific method obsolete, in: Wired 2008. http://www.wired.com/science/discoveries/magazine/16-07/pb_theory
  • Albert-László Barabási / James Fowler, Social Networks. Albert-László Barabási and James Fowler, in: Adam Bly (Hrsg.) Science is Culture. Conversations at the New Intersection of Science + Society, New York 2010, S. 297-312.
  • Jean-Baptiste Michel et al., Quantitative Analysis of Culture Using Millions of Digitized Books, in: Science 331/2011, S. 176-182.
  • Bernhard Rieder / Theo Röhle, Digital Methods: Five Challenges, in: David M. Berry (Hrsg.), Understanding Digital Humanities, Palgrave Macmillan 2012 (im Druck).
  • Robert P. Swierenga (Hrsg.), Quantification in American history. Theory and research, New York 1970.

Zur Person

Theo Röhle ist Postdoktorand am Graduiertenkolleg „Automatismen“ an der Universität Paderborn und hat im Wintersemester 2010/11 am dortigen Institut für Medienwissenschaften die Ratsstelle „Digitale Medien/Mobile Media“ vertreten. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit digitalen Wissensordnungen, neuen Formen der Überwachung sowie Machtkonzepten in den Medienwissenschaften und den Science and Technology Studies. Er hat 2010 am Institut für Medien und Kommunikation der Universität Hamburg promoviert, zuvor hat er in Stockholm Ideengeschichte, Cultural Studies und Medien- und Kommunikationswissenschaft studiert. Seine Dissertation erschien 2010 unter dem Titel „Der Google-Komplex. Über Macht im Zeitalter des Internets“. Zusammen mit Oliver Leistert hat er den Sammelband „Generation Facebook. Über das Leben im Social Net“ herausgegeben.

Kontakt

Dr. Theo Röhle
Graduiertenkolleg Automatismen
Universität Paderborn
Warburger Straße 100
33098 Paderborn