.hist2011 – Geschichte im digitalen Wandel

Daniel Schlögl / Stefan Wiederkehr / Helmut Zedelmaier: Fachinformationen für die Geschichtswissenschaften

Kommentar: Wilfried Enderle

Moderation: Gregor Horstkemper

Abstract

Im europäischen Vergleich verfügt Deutschland über ein sehr gut ausgebautes Angebot an geschichtswissenschaftlichen Fachbibliographien. Um dieses qualitätsvolle Angebot noch besser auf künftige Nutzerbedürfnisse auszurichten, hat am 1. Juli 2011 ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Projekt zur Weiterentwicklung der führenden geschichtswissenschaftlichen Fachbibliographien (Historische Bibliographie /Jahrbuch für historische Forschung, Jahresberichte für deutsche Geschichte, Bibliographie zur Zeitgeschichte) die Arbeit aufgenommen. Ziel des Projekts ist es, diese fachbibliographischen Informationsmittel der deutschen Geschichtswissenschaft zu optimieren und kooperative Arbeitsstrukturen zwischen den beteiligten Bibliographien aufzubauen. Die Zusammenarbeit wird sich sowohl auf technische wie auf konzeptionelle und organisatorische Bereiche erstrecken und die Bayerische Staatsbibliothek als geschichtswissenschaftliche Sondersammelgebietsbibliothek mit einbeziehen. Unter anderem werden ein kooperativ erstellter Datenpool und eine engere Verzahnung der Bibliographien mit der bibliothekarischen Informationsinfrastruktur angestrebt. Zugleich wird es darum gehen, die inhaltlichen Profile der beteiligten Bibliographien zu schärfen, aufeinander abgestimmte Geschäftsgänge zu entwickeln und über einen gemeinsamen Index im Rahmen von Chronicon die Suche in mehreren Bibliographien zugleich zu ermöglichen. Die Vertreter der am Projekt beteiligten Bibliographien erläuterten in einem Podiumsgespräch die grundlegenden Motive und spezifischen Zielsetzungen ihrer Zusammenarbeit. In seinem Kommentar bettete Wilfried Enderle (Göttingen) das laufende DFG-Projekt in einen breiten wissenschaftshistorischen und wissenschaftspolitischen Kontext ein und formulierte über das konkrete Projekt hinausgehende Desiderate, deren Realisierung die geschichtswissenschaftliche Fachinformation insgesamt auf ein neues Niveau bringen könnte (Einbindung auch der Regionalbibliographien in eine künftige deutsche historische Nationalbibliographie, multilinguale Sacherschließung und Bereitstellung von englischsprachigen Abstracts, systematische Erfassung elektronischer Publikationen, Zitationsanalyse und semantische Textanalyse). Anregungen und Nachfragen aus dem Publikum betrafen insbesondere die Einführung eines Identifikators für unselbständig erschienenes Schrifttum und die Bereitstellung von Linked Open Data.

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Kommentar

Das primäre Ziel des Projektes, die gemeinsame kooperative Erschließung der fachbibliographischen Daten der Jahresberichte für deutsche Geschichte, der Historischen Bibliographie und der Bibliographie für Zeitgeschichte auf der technischen Basis bibliothekarischer Verbundsysteme, kann grundsätzlich nur begrüßt werden. Da traditionell die beiden großen bibliographischen Unternehmen in Berlin und München ohnehin von Anfang an eng mit Bibliotheken zusammengearbeitet haben (Staatsbibliothek zu Berlin, Deutsche Bücherei in Leipzig, Bayerische Staatsbibliothek) ist es nur naheliegend, auch bei der Datenerfassung auf bibliothekarische Systeme zurückzugreifen und Möglichkeiten kooperativer Datenerfassung zu nutzen, für die diese Systeme auch originär entwickelt wurden.

Kritisch angemerkt wurde das Fehlen eines Konzeptes für die Integration von Daten der landeskundlichen Bibliographien. Betont wurde, daß Überschneidungen zwischen den beiden großen Fachbibliographien zugunsten einer klareren Profilbildung vermieden werden sollte. Da die Jahresberichte traditionell die umfassende Fachbibliographie zur deutschen Geschichte sind, läge es aufgrund des anderen Datenerhebungsmodus nahe, die Historische Bibliographie als Leistungsschau der deutschen Geschichtswissenschaft für Themen der „außerdeutschen“ Geschichte zu sehen. Die Historische Bibliographie könnte und sollte dann die entsprechenden Datensätze zu Publikationen in Deutschland arbeitender Historikerinnen und Historiker für nationale Fachbibliographien oder für entsprechende Portale einschlägiger Forschungsinstitute zur Verfügung stellen. Eine Anreicherung der Daten um englische Abstracts könnte dabei die internationale Sichtbarkeit deutscher Publikationen zu Themen der „außerdeutschen“ Geschichte deutlich erhöhen.

Es fällt bei dem Projekt auf, dass es im Wesentlichen versucht, die institutionell-organisatorischen Probleme, die durch das Scheitern des Fachinformationssystems 14 in den 1970er-Jahren entstanden sind, zu lösen, sich aber nicht konzeptionell mit der Digitalisierung geschichtswissenschaftlicher Fachinformation in den letzten Jahren und den daraus entstandenen Fragestellungen und Optionen auseinandersetzt. Angesichts des Umstandes, dass in absehbarer Zeit ein großer Teil der geschichtswissenschaftlichen Fachzeitschriften sowie auch der Monographien parallel zur Printausgabe auch in digitalen Versionen vorliegen werden, sollte für zukünftige Entwicklungen auch darüber nachgedacht werden, wie diese Daten durch Zitationsverlinkungen besser genutzt und zum Beispiel auch durch automatisierte Analysen des Fußnotenapparates noch umfassender ausgewertet werden könnten.

Zu den Personen

Wilfried Enderle: Nach einem Studium der Fächer Geschichte und Philosophie an der Universität Tübingen (1979-1985) promoviert er 1988 in frühneuzeitlicher Geschichte und schließt 1991 eine Ausbildung zum wissenschaftlichen Bibliothekar ab. Von 1991 bis 1994 arbeitet er in der UB Bielefeld, seit 1994 in der SUB Göttingen als Fachreferent für Geschichte, Betreuer des Sondersammelgebiets Geschichte des angloamerikanischen Kulturraums (http://aac.sub.uni-goettingen.de) und als Koordinator der geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Fachreferate. Seine Forschungsinteressen belaufen sich auf die Medien- und Bibliotheksgeschichte, die geschichtswissenschaftliche Fachinformation und die frühneuzeitliche Kultur- und Konfessionsgeschichte. Publikationen in Auswahl: <http://www.clio-online.de/forscherinnen=1340>.

Daniel Schlögl, geboren 1969 in München, studierte in München und Berlin Geschichte, Germanistik sowie Bibliotheks- und Informationswissenschaft. Nach Tätigkeiten als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der LMU München sowie an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften war er von 2001 bis 2003 wissenschaftlicher Bibliotheksangestellter der Bayerischen Staatsbibliothek und von 2004 bis 2008 Arbeitsstellenleiter der Jahresberichte für deutsche Geschichte an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Seit September 2008 leitet er die Bibliothek des Instituts für Zeitgeschichte.

Stefan Wiederkehr promovierte mit einer Arbeit zur russischen Geistesgeschichte in Zürich. Nach mehrjähriger Tätigkeit am Deutschen Historischen Institut Warschau ist er seit 2009 Leiter der Akademiebibliothek und Arbeitsstellenleiter des Akademienvorhabens "Jahresberichte für deutsche Geschichte" an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften

Helmut Zedelmaier studierte Geschichte, Germanistik, Politik und Soziologie in München und Berlin. Er wurde in München 1989 promoviert und 1996 in Neuerer Geschichte habilitiert. 1998/99 und 2002/03 vertrat er die Professur für Wissenschafts- und Universitätsgeschichte. 1999-2004 war er Bearbeiter und Leiter von historischen Forschungsprojekten (u.a. an der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel). Veröffentlichungen zur Kultur- und Wissensgeschichte der Frühen Neuzeit und des 19. Jahrhunderts. Seit 2004 ist er außerplanmäßiger Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft historischer Forschungseinrichtungen (AHF).

Kontakt

Dr. Wilfried Enderle
Georg-August-Universität Göttingen
Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen
Platz der Göttinger Sieben 1
37073 Göttingen
E-Mail: enderle@sub.uni-goettingen.de

Dr. Daniel Schlögl
E-Mail: schloegl@ifz-muenchen.de

Dr. Stefan Wiederkehr
E-Mail: wiederkehr@bbaw.de

Prof. Dr. Helmut Zedelmaier
E-Mail: h.zedelmaier@ahf-muenchen.de