.hist2011 – Geschichte im digitalen Wandel

Maren Lorenz: Geschichte im Visier. Historische Erkenntnis im Dilemma zwischen akademischer Deutungshoheit und Marktkonformität

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Abstract

Im Gegensatz zur Geschichtswissenschaft kann der Begriff der "Öffentlichkeit" extrem breit definiert werden. Wenn es um die Beziehung von Geschichte im Netz und in der Öffentlichkeit geht, müssen darum ganz unterschiedliche Ziele und Zielgruppen definiert werden, die die Fachwissenschaft verfolgen bzw. erreichen will und die von der Wissenschaftskommunikation über pädagogische Vermittlungsarbeit bis hin zu Werbemaßnahmen reichen können. Ich beschränke mich hier auf die Beziehung zu zwei Aspekten/Gruppen, die von der Rezeptions- bzw. Verwendungsweise geschichtswissenschaftlicher Angebote her gedacht sind: Multiplikatoren historischer Erkenntnis in Politik, Wirtschaft und Medien sowie Lernende und Lehrende (im deutschsprachigen Bildungssystem).

Die 'Internetisierung' der Gesellschaft und damit auch der Öffentlichkeit hat den seit Jahrzehnten zunehmenden ökonomischen Rechtfertigungsdruck auf die Geschichtswissenschaften weiter erhöht. Die Wissenschaftspolitik fordert im Wortsinne eine stärkere Sichtbarkeit (Stichwort: Aufmerksamkeitsökonomie vs. Zeitökonomie) und den Nützlichkeitsnachweis historischer Erkenntnisse ein. Paradoxerweise muss Geschichtsforschung heute als 'Produkt' vermarktet werden, um ihre öffentliche Finanzierung zu rechtfertigen, obwohl deren Ergebnisse als Legitimationsstrategie unter den Multiplikatoren aller Couleur seit Ende des Kalten Krieges nicht abgenommen, sondern mit der Diversifizierung geographischer, nationaler und religiöser Strukturen eher noch zugenommen hat. Das WWW erleichtert außerdem einer erheblich größeren Zahl von Individuen und Interessengruppen den Zugang zu historisch unterfütterten Argumenten. Unter den Bedingungen der neuen Medien geht es nach wie vor um die für die Geisteswissenschaften insgesamt typischen Dilemmata von großem Angebotsspektrum auf der einen und aktiv eher geringer bzw. nur punktueller thematischer Nachfrage seitens der Multiplikatoren auf der anderen Seite.

Meine Überlegungen betreffen darum den Umgang mit Autoritäts- und Kontrollverlust, bei gleichbleibendem Qualitätsbewusstsein und Anspruch der Qualitätssicherung, seitens der Wissenschaft bzw. die auch von der Wissenschaftspolitik oft als unzureichend bezeichnete Übersetzungs- und daraus folgende 'mangelhafte' Vermarktungsleistung. Dabei geht es neben inhaltlichen Fragen auch um die 'öffentliche' Reputation und Positionierung von Fach und Individuen und letztlich um den Zugang zu Status und Ressourcen. Geisteswissenschaften produzieren meritorische Güter, ein in der Medienökonomie inzwischen als dramatisch erkanntes Problem, das sich im öffentlich finanzierten Bildungssystem weiter zuspitzen wird.

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Zur Person

Nach dem Studium der Geschichte, Politikwissenschaften und Psychologie in Heidelberg, Wien und Hamburg schließt Maren Lorenz 1998 eine Promotion im Fach Geschichte ab und habilitiert sich 2006. Von 1998 bis 2007 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur, von 2007 bis 2008 Visiting Fellow des National Endowment for the Humanities am Deutschen Historischen Institut Washington D.C. Nach einer Gastprofessur an der Universität Wien unterrichtet sie derzeit an der Universität Basel. Sie forscht und publiziert unter anderem zur Wissenschafts- und Ideengeschichte, zur Rechts-/Kriminalitätsgeschichte und Gewaltforschung, zur Körpergeschichte und zum Verhältnis von Geschichtswissenschaft und neuen Medien.

Kontakt

Dr. Maren Lorenz
Universität Hamburg
Historisches Seminar
Von-Melle-Park 6
20146 Hamburg
E-Mail: maren.lorenz@uni-hamburg.de