PD Dr. Annette Weinke

Akademische Oberrätin

Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte

Friedrich-Schiller-Universität Jena

Forschung und Projekte

Aktuelle(s) Projekt(e)

Seit dem Ende des Ost-West-Konflikts hat das humanitäre Völkerstrafrecht einen unerwarteten Wiederaufschwung erfahren. Seine gewachsene Bedeutung zeigt sich nicht nur auf institutioneller Ebene, sondern bildet sich auch in der Forschungslandschaft ab. Im Zuge der Verwissenschaftlichung der „Transitional Justice“ wurden in den letzten Jahren zahlreiche neue Forschungszentren und Lehrstühle geschaffen, die sich schwerpunktmäßig mit der Funktion von Recht und Justiz nach politischen Umbrüchen befassen. An diese aktuellen Diskussionen möchte ich anknüpfen, sie jedoch gleichzeitig um einige neue Perspektiven und Aspekte erweitern. So nimmt das Forschungsvorhaben jenen Kreis international aktiver Juristen, Wissenschaftler und Aktivisten in den Blick, die während, vor allem aber nach Ende des Zweiten Weltkriegs die Idee des „Peace through Law“ konzipierten, propagierten und umsetzten. Es handelte sich überwiegend um zwei Gruppen, die nach 1945 an einer Weiterentwicklung dieses Gedankens arbeiteten: Zum einen europäische Experten, von denen einige bereits vor 1933, die meisten jedoch infolge der nationalsozialistischen Annexions- und Expansionspolitik und der Judenverfolgung in die USA oder nach Großbritannien emigriert waren; zum anderen jüngere amerikanische Juristen, die in den dreißiger Jahren dem „New Deal“-Liberalismus nahe gestanden hatten.Während der Beitrag einzelner exilierter Juristen am Zustandekommen der Nürnberger und Tokioter Prozesse mittlerweile recht gut erforscht ist, steht eine Untersuchung der vielfältigen Nachkriegsaktivitäten noch weitgehend aus. Denn in dem Maße, in dem mit dem beginnenden Kalten Krieg die Kriegsverbrecherprozesse als solche in den Hintergrund traten, wurden auch deren Protagonisten und die dem Projekt zugrunde liegenden Prinzipien und Ideen zunehmend marginalisiert.
In dem Forschungsprojekt sollen die wissenschaftlichen und publizistischen Aktivitäten dieser Juristen, Wissenschaftler und Friedensaktivisten in den skizzierten Kontexten genauer beleuchtet werden. Anhand einer kollektivbiographischen Studie soll verdeutlicht werden, wie sich deren individuelle Erfahrungen auf die Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts und die öffentliche Auseinandersetzung mit schweren Menschenrechtsverletzungen ausgewirkt haben. Dabei wird insbesondere der Beitrag juristischer Konzepte, Normen und Kategoriendiskussionen an der Etablierung transnationaler Menschenrechtsdiskurse und Protestformen zu untersuchen sein – die in den sechziger Jahren entwickelte Idee zivilgesellschaftlicher Tribunale ist nur ein bekannteres Beispiel für diese Entwicklung. Der Untersuchungszeitraum reicht vom Beginn des Kalten Krieges bis in die neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts.

Veröffentlichungen

Monographien (und Dissertation)

Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. Transnationale Debatten über deutsche staatliche Gewalt im 20. Jahrhundert [erscheint im Herbst 2015].

Eckart Conze/Norbert Frei/Peter Hayes/Moshe Zimmermann, Das Amt und die Vergangenheit. (Blessing) München 2010 (Verfasserin folgender Kapitel und Teilkapitel: „Arbeit am Mythos“, „Nürnberger Netzwerke“, „Das Vermächtnis der ‚Ehemaligen’“, „Personeller und institutioneller Wiederaufbau“, „Debatten und Prioritäten“, „Untersuchungsausschuss Nr. 47“, „Wiedergutmachung und Erinnerung“ (S. 533-558), „Die Vergangenheit als außenpolitische Herausforderung“ (S. 570-595; S. 600-614), „Wandel, Reform und alte Probleme“ (S. 651-687), „Von der ‚Ungenauigkeit der Schuldzuweisungen’ zur Einsetzung der Historikerkommission.

Eine Gesellschaft ermittelt gegen sich selbst. Die Geschichte der Zentralen Stelle Ludwigsburg 1958-2008. (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) Darmstadt 2008.

Die Nürnberger Prozesse. (C.H. Beck) München 2006.

Artikel

West Germany – a case of transitional justice avant la lettre?, in: Luc Huyse/ Nico Wouters (Hrsg.), Lessons from History? Transitional Justice and memories in Europe (1945-2012), Cambridge/ Mortsel (Intersentia), Cambridge/ Antwerp/ Portland 2014, S. 25-61.

Vom „Nie wieder“ zur diskursiven Ressource. Menschenrechte als Strukturprinzip internationaler Politik seit 1945, in: dies./ Norbert Frei (Hrsg.), Toward a New Moral World Order? Menschenrechtspolitik und Völkerrecht seit 1945, (Wallstein) Göttingen 2013, S. 12-39.

Die Justiz als zeithistorische Forschungsstelle, in: Frank Bösch / Constantin Goschler (Hrsg.), Public History. Darstellungen des Nationalsozialismus jenseits der Geschichtswissenschaft. (Campus) Frankfurt a.M. 2009, S. 156-189.

„Von Nürnberg nach Den Haag“? Das Internationale Militärtribunal in historischer Perspektive, in: Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen /Villa ten Hompel (Hrsg.), Vom Tribunal zum Weltgericht. Neue Fragestellungen zum Verhältnis von Menschenrechtsverbrechen und Völkerstrafrecht 60 Jahre nach dem Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess (= Juristische Zeitgeschichte, Bd. 16) Geldern 2008, S. 20-33.

Herausgeberschaften und Editionen

(mit Norbert Frei), Toward a New Moral World Order? Menschenrechtspolitik und Völkerrecht seit 1945. (Wallstein) Göttingen 2013.

Publikationsliste (Url)

http://www.nng.uni-jena.de/lsnngmedia/Downloads/Weinke_PUB_August+2014.pdf

Forschungsinteressen und Arbeitsgebiete

Geschichte der beiden deutschen Staaten nach 1945; Nachgeschichte des Nationalsozialismus; humanitäres Völkerrecht und Menschenrechte im 20. Jahrhundert; Recht und Justiz in der SBZ/DDR; Geschichtswissenschaft, Recht und öffentliche Geschichte nach Diktaturerfahrungen; Geschichte des Auswärtigen Amtes nach 1945.